«Chapeau Wetzikon» Kulturpreis der Stadt Wetzikon

Laudatio Sonja Duò-Meyer    

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Sonja Duò-Meyer,

 

Aus mehreren Gründen ist diese Preisverleihung etwas Besonderes.

Aber ist das nicht jede Preisvergabe? Ich denke, nein, und ich erkläre mich gern:

 

Erstens: Dieser Preis wird heute zum ersten Mal vergeben, und sein sprechender Titel deutet auf leichte Weise die Verbeugung des Publikums vor dem Preisträger an. Das allein ist schon ungewöhnlich…

Zweitens: Dieser Preis ist von einem vergleichsweise kleinen Gemeinwesen ausgelobt und ist doch durchaus mehr als nur ein Anerkennungspreis – er ist so dotiert, dass er dem Preisträger erlaubt, das eine oder andere neue Vorhaben in die Tat umzusetzen… Er setzt also Energien frei.

Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste: Der Entschluss zur Vergabe dieses Preises fiel in wirtschaftlich strengen Zeiten, und er setzt damit ein Signal jetzt und für die Zukunft.

Also gebührt dafür den Initiatoren, der Gemeinde und der Jury grösste Anerkennung und Dank.

 

In erster Linie aber gelten Anerkennung und Aufmerksamkeit heute der Preisträgerin. Es ehrt mich, und es freut mich ebenso, dass die Kulturkommission mich gebeten hat, hier die Laudatio auf Sonja Duò-Meyer zu sprechen und Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, ihre künstlerische Arbeit nahezubringen.

 

Doch lenke ich vorab gern ein Schlaglicht auf eine persönliche Eigenschaft der Preisträgerin. Sonja Duò–Meyer ist engagiert, wie es sich für einen Künstler gehört, selbstredend. Aber ihre Engagiertheit zielt nicht nur auf ihren eigenen künstlerischen Werdegang. Sie hat nicht ausschliesslich ihr keramisches Metier im Blick, bewegt sich nicht nur in den Grenzen, die dem keramischen Schaffen oft genug durch die Einordnung in den Bereich des künstlerisch überhöhten Handwerks gezogen werden. Nein, Sonja Duò-Meyers Engagement gilt auch dem öffentlichen Kulturangebot in Wetzikon, und sie hat ein waches Auge für künstlerische Tätigkeit im weitesten Sinn.

 

Das heisst, sie versteht ihre Aufgabe als Künstlerin nicht nur im Hervorbringen der Dinge, die als Kunst bezeichnet werden, sondern sie sieht sich und Ihr Handeln klar in einem gesellschaftlich/ sozialen Kontext. Für sie gilt, dass die Förderung von Interessen und das Schaffen von Verbindungen, das Sammeln und Bündeln (nicht nur der genuin schöpferischen) Kräfte zur Bildung und Entwicklung von Kultur gehören. Und ohne Kultur wäre ein Gemeinwesen wohl kaum mehr als eine zweckgebundene Versammlung…

 

Aber nähern wir uns nun dem Weg und Werk von Sonja Duò-Meyer:

Die erste Frage liegt immer nah: Wie findet man zum eigenen künstlerischen Schaffen, wie kommt gerade dieser Mensch zur Keramik? In ihrer leisen, beinahe lakonischen Art, die aber alles auf das Wesentliche konzentriert, spricht Sonja Duò-Meyer vom typischen Werdegang einer Jugendlichen der späten 60er Jahre. Ausbrechen aus der Konvention, Suche nach Individualität… Das sind die Stichworte, die sie heute gibt. Man kann es sich gut vorstellen, wie eine junge Frau mit abgeschlossener Lehre (im Fernmeldedienst der Post) das erste Mal an einer Sommerakademie der Arbeit mit Keramik begegnet, an der Töpferscheibe den Ton unter den Händen wachsen spürt, aber noch viele andere Materialien spielerisch probiert, bevor sie 1971 den Entscheid für die freie Arbeit als Künstlerin/Keramikerin trifft, einen Brennofen anschafft und dann mit grosser Konsequenz in bis jetzt rund 30 Jahren ihre eigene Sprache aus geformten Erden schafft (denn nichts anderes als das ist Keramik ja eigentlich).

 

Erden, Tone – das evoziert sogleich Ursprüngliches. Und selbst wenn sich Sonja Duò-Meyer aus der Bandbreite der Tonerden schon längst auf das helle, edlere, beim Verarbeiten eher weiche und nach dem Brand sehr harte Porzellan konzentriert hat, bleibt auch diesem Material sein erdgebundener Ursprung eigen: Es ruht zuvor im Grund, ist Teil des Körpers (Himmelskörpers), auf dem wir stehen, ein Produkt sehr langer Bildungsprozesse. Im Boden binden und führen die Tone  Wasser, herausgeholt, kann man sie kneten, formen, aufbauen, durchaus der Schwerkraft trotzend. Getrocknet, ist das Material zerbrechlich und doch fest. Gebrannt, wird es widerständiger und erhält die Fähigkeit zu schwingen und zu tönen. Ein reiches Material also, selbst wenn es ganz ohne Glasur in seiner reinen Naturfarbe, zum Beispiel einfach porzellanweiss, vor uns steht.

 

So ursprünglich und reich das Material, so vielfältig sein Gebrauch: Inwieweit es im Kultgegenstand auch zur Verbildlichung in Form anthropomorpher oder zoomorpher Figuren diente, oft auch indem Schalen, Becher und Vasen in Tierform ausgestaltet wurden oder vice versa Menschen-  und Tiergestalten als solche „Gebrauchsdinge“ daherkamen, all das sei hier ausgeklammert.

 

Wesentlich ist: Geformt zum Gefäss, diente der Ton nahezu allen frühen Kulturen als Handhabung für Säkulares und Sakrales. So war das Gefäss – ganz alltäglich-irdisch – im Gebrauch als Behälter für flüssige und feste Nahrung – , es diente aber auch als konkreter und symbolischer Sammelort für Kultisches und gar Göttliches: in ihm ruhten Opfergaben (sozusagen auf die Götter „umgemünzte“ Nahrung) sowie heilende oder mythische Bedeutung tragende Substanzen… Schätze wurden in Gefässen gehortet, und im berühmten Brunnen Gian Lorenzo Berninis an der Piazza Navona in Rom verbildlichen die Gefässe als Attribut der Flussgötter die Ursprünge der grossen Ströme und mit diesen gar die Weltgegenden… Zwischen Leben spendendem Quell und Schrecken verheissender Büchse der Pandora spannen sich Gebrauch und Bedeutung des Gefässes. Die Assoziationen weiten sich vom Trinkbecher bis zur bergenden Höhle, ja bis zum Leib als Hort der Seele. Im Gefäss wird – so verrät die Sprache – etwas gefasst, also tatsächlich greifbar gemacht. In ihm wird gesammelt, geborgen, und im weiteren Sinn gar eingerahmt und (dekorativ) überhöht wie beim Juwel, der erst in seiner Fassung zur vollen Schönheit gelangt. Somit gehört die ganze Entwicklungsgeschichte einfach funktionaler und auch schön geschmückter Gefässe so eng zur kulturellen Entwicklung des Menschen wie die Architektur – auch sie ist im Prinzip immer wieder ein „Gefäss“. Und im Rahmen der Architektur kam dem Gefäss als Ornament und Symbol in Form von Vasen und Schalen über Jahrhunderte höchste Aufmerksamkeit zu.

 

Man muss sich also entscheiden, will man als Gestalter dem Gefäss schöpferisch auf den Grund gehen. Interessiert die gespannte Oberfläche, die sich dem schmückenden Sinn zur Ausgestaltung anbietet wie ein Gartenbeet dem Gärtner? Interessieren also die dekorativen Möglichkeiten? – Interessiert eine gewünschte Funktion, und deren Ausprägung auf Form und Material? Das ist der Aspekt, dem das Industriedesign Aufmerksamkeit widmet. – Interessieren die Beziehungen und Spannungen die sich zwischen dem Gefässkörper, dessen Innenraum und dem umgebenden Aussenraum aufbauen? Das wäre ein architektonisches Moment. – Oder interessiert die rein materielle Präsenz im Zu- oder Kontrastspiel zu Formen und Farben, die aufgelegt oder in der Umgebung zugeordnet werden? Das wäre etwa der Blick des Bildhauers und Malers. – Interessieren kulturelle Bedeutungen – die auch heute noch über die Blumenvase und den Wanderpokal hinausreichen? Viele Aspekte, ein weites Feld…

 

Nun: Sonja Duò-Meyers Augenmerk gilt wohl, und das sage ich nicht nur in Bezug auf ihre grossen, vom Boden bis 60 cm und mehr aufstrebenden Gefässe – ihr Augenmerk gilt vor allem den letzten vier Aspekten. Architektur, Form in Licht und Schatten, das kulturelle Bedeutungsfeld.

 

Mit den Jahren sind bei ihr die Schmuckelemente, die den fertig geformten Gefässen meist im Arbeitsgang nach der Formung „aufgelegt“ wurden, in den Hintergrund getreten. Die Bemalung ist weggefallen. Sogar die Glasur, die schützende Haut, ist ihr dort entbehrlich, wo ihr Fehlen einem beabsichtigten praktischen Gebrauch nicht entgegensteht. Und wo Sonja Duò-Meyer heute Farbe einsetzt, geschieht dies mittels Engobe, also einer dünn aufgeschlämmten Schicht andersfarbiger Tonerden, die sich im Brand innig mit dem Gefässkörper verbindet. Diese  meist schwarzen Engoben unterstreichen wie ihr Gegenstück, die naturweissen Rohporzellanflächen, die gebaute Form der Gefässe.

 

Als gebaut, als architektonisch, empfinde ich Sonja Duò-Meyers Gefässe nicht nur, weil sie meist in geduldiger, klassischer Aufbauarbeit aus vielen Tonwülsten entstehen. Nein, sie sind auch darum „gebaut“, weil sie deutlicher als etwa gedrehte, gleichmässig gebauchte Gefässe einzelne Abschnitte oder eben Bauelemente aufweisen: Die Form weitet sich, steigt dann fast senkrecht auf, schliesst sich wiederum und endet in einem Halsring – oder anstelle des senkrechten Aufstiegs strebt die Form wie in zwei Energieschüben wenig, aber stetig sich weitend nach oben – in einem auf circa halber Gefässhöhe befindlichen Wulstring sammelt sich die Kraft für den oberen Teil des Anstiegs… Diesen Gefässtyp zeigt die Gruppe auf der Einladung zur heutigen Feier.

 

Wenn ich also diese Arbeiten als architektonisch charakterisiere, meine ich eine an Naturprozessen und -formen orientierte, organische Architektur. Jede durch das Abziehen mit dem Holzspachtel entstehende Kante lebt, die Glättung der Oberflächen ist nur eben soweit getrieben, dass der Prozess des langsamen Anwachsens der Form spürbar bleibt, und durch den Verzicht auf Glasuren verankert sich der Blick auf dem sachten Licht- und Schattenspiel der spröden Oberflächen, die den Volumen noch mehr sinnliche Präsenz verleihen. Hier, so merkt man, berührt Sonja Duò-Meyers Arbeit die bildhauerisch-malerische Domäne: Der Schönheit von Licht und Schatten auf reinem Weiss und der Anwesenheit von Licht und Schatten sogar im Schwarz haben schon Bildhauer und Maler nachgespürt. Als Maler sind so etwa Robert Ryman dem Weiss und Ad Reinhardt dem Schwarz nachgegangen.

Mit diesen Beispielen möchte ich Sie auf ein Prinzip hinweisen, das eben auch Sonja Duò-Meyer fasziniert: Es ist die Reduktion, besonders die auf ein Material und eine Farbigkeit zugunsten eines intensiveren Sehens sowohl des Ganzen als auch feinerer Beobachtung vorhandener Details. Und Sonja Duò-Meyer ist eine Meisterin der Reduktion. Aber sie reduziert nicht auf Kosten der Spontaneität. Sie berechnet und konstruiert nichts. Sie zeichnet nicht, skizziert nicht. Sie schafft sozusagen „alla prima“ – ein Begriff aus der Malerei zwar, aber treffend in ihrem Falle. Ihre Reduktion beruht auf der Wahl und Konzentration von Anfang an.

 

Der Weg zu dieser sehr knappen und direkten Formensprache umspannt inzwischen über 30 Jahre, und im Rückblick sind die grundlegenden Elemente in jeder Phase schon erkennbar: Das präzise, architektonische der Formen, selbst wenn sie mehrere Formteile montiert oder mit Bemalungen gearbeitet hat, die Schriftzeichen- oder Bildcharakter besitzen.

 

Im Gegensatz zu mancher, meist von Malern gefertigter „Künstlerkeramik“ des 20. Jahrhunderts, bei der oft eine mehr oder weniger klassische Form – Krug, Teller oder Schale – als gegeben angenommen und wie eine Leinwand oder ein Blatt Papier mittels Farbe „überformt“ wurde, womit eine eigentliche Auseinandersetzung mit dem spezifischen Material nur selten stattgefunden hat (auch oft gar nicht das Ziel war) – im Gegensatz hierzu ist die Arbeit von Sonja Duò-Meyer im besten Sinne eine zeitgenössische künstlerische Arbeit mit Keramik. Sie verliert sich nicht im Handwerklichen und verhehlt nicht ihre Faszination durch den Bildhauer Eduardo Chillida oder Ihr Interesse an gewissen Werken von Tony Cragg, Gabriel Orozco und manch anderen Künstler-Zeitgenossen, darunter durchaus auch Maler.

 

So ist ihre Arbeit sichtbar im Kontext mehrerer Kunstströmungen des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts entstanden, und sie reflektiert die Diskurse, die ihren Werdegang hinterfangen haben: Konzeptkunst hiess Verknappung der Mittel, Arte Povera konzentrierte das Interesse auf das Einfache und Sprechende von Material und Ausführung, Objekt- und Installationskunst betonten die Einbindung des Werkes in sein Umfeld, die Rückbindung und/oder Einbettung des Kunstwerks in den Lebenszusammenhang.

 

Dass Sonja Duò-Meyer mit ihren Werken weit über das übliche keramische Schaffen hinausgeht, zeigen ganze Raumgestaltungen wie die des im Jahr 2000 geplanten, 2001 realisierten Andachtsraumes in der Rehabilitationsklinik Aarreha in Bad Schinznach, oder ihre im Advent 2001 in der Ustermer Villa am Aabach installierte Gruppe aus kleinen und grossen Gefässen, die neue und alte Bräuche und Mythen des Advents sinnbildlich „bargen“.

 

Nicht zuletzt diese beiden Beispiele zeigen nochmals: Wenn Sonja Duò-Meyer Gefässe formt, ist sie sich der Bedeutungen und Handlungen bewusst, die in der Geschichte der Menschheit ebenso wie individuell auf diese Behältnisse Bezug nehmen. Gefässe haben eine soziale Relevanz, und der durch sie bestimmte Handlungsrahmen ist so praktisch wie metaphorisch. Hineinlegen, das ist gleich Verstecken, Bewahren. Herausnehmen wiederum ist ein Entdecken, ans-Licht-heben. Das Gefäss ist Anfang und Ende gegenläufiger Bewegungen, und das Material wie auch die Technik verbinden polare Gegensätze in sich: weich zu hart, formbar zu fest. Die Formen und das Verfahren geben Raum für das Typische und das Individuelle, sie sind uralt und doch geeignet, um damit eine  Kunst ganz von heutezu schaffen.

 

Meine Damen und Herren, liebe Sonja, alles, was Deine Werke sonst zu sagen haben, findet man beim Sehen, auch beim Benutzen Deiner Arbeiten heraus. Sie sind nämlich über allem auch sehr sprechend. Ich wünsche also Ihnen, liebe Gäste heute, wann immer sie den Arbeiten von Sonja Duò-Meyer begegnen, wachen Blick und sensibles Gehör, und Dir, liebe Sonja, dass Du die innere Mitte, die zum Aufbau solcher Arbeiten nötig ist, bewahrst und Dich mit Deinem Tun weiter inmitten des strömenden (Kunst)-Lebens bewegst.

 

Herzlichen Dank.

Regina Lange, Kunsthistorikerin,Zürich