Origin Islands

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Jetzt sind Sie also umzingelt. Von Inseln. Genau 44. Und anders als Robinson Crusoe können Sie sich aussuchen, welche Sie betreten wollen. 44 mal Neuland, 44 mal gedankliches Abenteuer, 44 verschiedene Welten, Stimmungen, Begegnungen, Geschichten. Sie treffen auf Urwälder und Monster, Alpträume und Fabelwesen, malerische Fülle und asketische Kargheit, phantastische Ordnungen und paradiesische Zustände, absurdes Chaos und himmlische Fluchten, vertraute Systeme und exotische Schöpfungen – Wie sollen Sie sich entscheiden?

Es gibt die Vorsichtigen: Sie wollen zunächst sozusagen die geologischen Voraussetzungen erkunden: Aus was besteht die jeweilige Insel, wie ist sie gemacht? – Und auch hier werden Sie eine Unmenge an verschiedenen Befunden konstatieren können: Aus Irdenware oder Porzellan, aus Steinzeug, aus Glasur oder Engobe, gegossen, gedreht, abgeformt, gepresst, montiert, aufgebaut, zerstört, zusammengesetzt, gebrannt, getrocknet, bemalt, getaucht, gesprüht, lackiert. Es finden sich Fett und Licht, Holz und Metall, Kunststoffe und textile Fasern, Kitt, Kleber, Magnete, Glas, Wasser, Videos, Fotos und akustische Bestandteile, Sand, Gestein und sogar echte Blumen und etliches mehr.

Insbesondere keramische Ausstellungen werden oftmals primär dieser Beschaffenheitsanalyse unterzogen. Ich möchte Sie jedoch ermuntern, davon abzusehen. Ich persönlich ärgere mich direkt über diese typisch keramische Art der „Qualitätsüberprüfung“. Seit Keramik ihre Einengung auf das Feld der Gebrauchskeramik gesprengt und sich der Ton als Material der freien Kunst etabliert hat – und da setzen wir mindestens bei der Art brut an – sind technische Fragen zwar zweifelsohne zu lösen, taugen aber ganz und gar nicht mehr zur Beurteilung, ja sind nachgerade in ihrer Beantwortung hinsichtlich der Bedeutung einer Arbeit schlicht überflüssig. Man sollte sich damit nicht aufhalten. Allzumal bei dieser Ausstellung, die sich nicht nur durch die Wahl dieses besonderen Ortes, dem Kunst(Zeug)Haus Rapperswil, als Kunstausstellung ausweist. Deshalb sollte uns alle vor allem eines interessieren: Die künstlerische Tragfähigkeit der hier gezeigten Arbeiten.

Die für mich richtige Insel wird meine Aufmerksamkeit erregen, wird mich anziehen, mich zum Betreten verlocken. Dieses von mir zuvor nicht betretenen Land bietet mir nicht nur eine Fülle neuer visueller Reize und gedanklicher Entdeckungen, sondern dadurch und darin Platz für mich und Material für all das, was ich mir dort aufbauen möchte, um mich heimisch zu machen. Sie muss mich ernähren können und bestenfalls finde ich dort einen Gefährten, das heißt: eine Einladung zur Kommunikation. Am Ende hat mir die Insel den Aufbau einer eigenen, vorher nicht so gedachten, gewussten, erlebten, also neuen Gedanken- und Empfindungs-Welt ermöglicht, mit neuen Erfahrungen, neuen Formen, neuem Wissen. Vielleicht hat sie sogar: mein Leben gerettet.

Genau das ist guter Kunst immanent. Sie geht weit über das Selbstreferentielle hinaus. Sie predigt, jammert oder schwafelt nicht, sondern eröffnet. Eröffnet mir neue Räume. Sie lädt mich ein, mich einzulassen. Und lässt mir als Betrachterin die Freiheit, sie weiter oder zu Ende zu denken. Sie setzt meine gedankliche Kreativität in Gang und bietet mir genügend Material, für eigene, fortführende, neue Gedankengebäude. Sie ermuntert mich, das noch nicht Gedachte zu denken, die gezeigten Ansätze selbst zu Ende zu formulieren, meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Sie nährt meinen Geist und eröffnet mir neue Räume. Sie bringt mich in Kontakt mit meiner eigenen Phantasie, lockt vielleicht das Ungezähmte, Wilde hervor, bringt es in Kontakt mit meinem zivilisierten Alltag und gibt ihm neue Farben und Nuancen. Vielleicht lehrt sie mich gar neue Überlebenstechniken.

Robinsons Leben wurde durch die Insel nicht nur gerettet. Es wurde darüber hinaus bereichert. Danach sollten wir bei der Auswahl unserer Insel aus 44 suchen. Denn genau das kann gute Kunst. Ich behaupte: Solcher Art Kunst finden Sie heute Morgen hier. Gehen Sie an Land!

Gabi Dewald
Rapperswil, 09.02.2019