Galerie art station, Zürich 27.8. bis 3. 10. 2015

Agnes von Däniken und Sonja Duò-Meyer in der Galerie art station, Zürich

Die Lebendigkeit perfekter Unvollkommenheit

«Eine Fotografie ist wie ein Boot, das stetig in die Zukunft getragen wird, auch wenn die Vision, die man sieht, aus der Vergangenheit kommt.» Diese Zeilen stammen von dem in Tokio lebenden japanischen Fotografen Naoya Hatakeyama. Sie sind in dem Katalog WELT-BILDER 5 zitiert, der eine Ausstellung letztes Jahr im Helmhaus Zürich begleitet hat.
Auf der Einladungskarte zur Ausstellung von Agnes von Däniken und von Sonja Duò-Meyer treffen die Abbildung einer Fotografie und die eines Objekts aufeinander, eines Objekts, das Assoziationen an ein Boot weckt. Da ist dieser Weg, der irgendwo ansetzt, der irgendwo seinen Anfang als Präsenz bekundet und in einen unbestimmbaren Raum führt. Ein querliegender Bambusstamm ist in seiner Positionierung und Proportionierung nicht eindeutig lokalisierbar. Grenzt er ab oder gewährt er als Teil eines Tores gerade Eingang? Gedanken an einen Schutzraum kommen auf, einen Raum, der Aufmerksamkeit, der Behutsamkeit einzufordern scheint, ohne fordernd in Erscheinung zu treten. Zurückhaltung ist angesagt.

Es könnte ein Bambuswald sein, der sich ausweitet. Etwas Rätselhaftes bleibt. Mit den Blicken versucht man in das verborgene Geschehen tiefer einzudringen. Es herrscht offene Verschlossenheit, verschlossene Offenheit.
Dann dieses Boot, dieses Gefäss mit seinen vom Boden her nach oben drückenden Wölbungen. Stabartige Elemente sind quergelegt. Wie wenn ein loses Gitter leicht angetönt wäre. Auch hier könnte der Gedanke einer Absperrung spielen. Auf Zeit abgelegte Ruder könnte man assoziieren. Rhythmisierte Bewegung wird thematisiert und auch ausgelöst. Übergänge werden wichtig, Zustandswechsel, Transformationen. Das Gefäss, das Schiffsobjekt, eröffnet dem ihm innewohnenden Wesen einen Entfaltungsraum.

Weit in die Vergangenheit – bis in prähistorische Zeiten – tragen die Objekte von Sonja Duò-Meyer die Empfindungen und Erinnerungen der Betrachter und Betrachterinnen. Und in die Zukunft, um im gleichen Moment vor allem ganz, ganz gegenwärtig zu sein. Die Zeit scheint gleichsam aufgehoben zu sein und sie ist wirksam als Zeitlichkeit. Zwei Künstlerinnen haben gänzlich unabhängig voneinander ein Werk geschaffen, das in der gemeinsamen Ausstellung ein befruchtendes Zusammenspiel anregt. Die Arbeiten reden gleichsam miteinander in einer Atmosphäre lichter Verbundenheit. Beide Künstlerinnen verspüren eine grosse Affinität zu Japan. Beide haben sie das Land besucht.

Einfachheit begleitet ihre Werke, eine Einfachheit wiederum, die sich in feinen Nuancierungen und Beobachtungen unterscheidet. Von konzentrierter Schlichtheit kann bei den Objekten von Sonja Duò-Meyer gesprochen werden, vom würdigen Erscheinen teils betont armselig wirkender Sujets bei den Fotografien von Agnes von Däniken. Da ist bei einem Gebäudekomplex, der an eine Hinterhofszenerie erinnert, eine Fassade zur Rechten, die im langsamen Schauen Beobachtung erfährt, die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ohne im eigentlichen Sinne ins Auge zu fallen. Ein edler Glanz macht sich je nach Lichteinfall auf der Fassade breit. Er lässt die einzelnen geschichteten Fassadenelemente gleichsam, wie auf eine verborgene Partitur bezogen, lautlos erklingen, fast haptisch ertönen.

«Der Japaner sucht hinter aller Form das Selbstverständliche, das Natürliche, das Organische. Er sucht es durch die Form hindurch. Letzte Formvollendung findet er in der Einfachheit, im Unauffälligen. Es kann nur durch die Formgebung gefunden werden. Formloses Leben führt nicht zum Wesentlichen. Erst aus der Einübung des Vollkommenen erwächst das Geistig-Natürliche», schreibt Werner Blaser in seinem Buch Tempel und Teehaus in Japan.

Worte zu finden für Sonja Duò-Meyers Arbeiten, kann nicht wirklich das vorrangige Ziel sein. Sie entziehen sich dem interpretierenden Zugriff. Vermutlich werden sie gemeinhin gern mit «minimalistisch», «reduziert», «archaisch», vielleicht auch «abstrakt» umschrieben. Reduziert sind sie für mich nur im Sinn von auf das Wesentliche konzentriert. Doch dieses Wesentliche widerstrebt in seiner Fülle dem Begriff «reduziert». Es sind die Objekte als einfache Erscheinungen, die das Interesse wecken, dabei im Besonderen die reine Verwirklichung der ästhetischen Erscheinung.

Sonja Duò-Meyer spricht bezüglich ihrer kraftvoll-fragilen Objekte von ihren Gefässen und ihren Figuren. Als Wächterinnen hüten sie gleichsam einen Ort, wo subtilen Schwingungen Raum gewährt wird. Die Arbeiten präsentieren sich in bescheidener Zurückhaltung, wirken als Objekte der Transformation. Der Ton ist zum Objekt geworden und dabei ist dieses Objekt der Ton geblieben ¬– in einem anderen Zustand. Etwas tritt zurück, um etwas anders erscheinen zu lassen. Im Hinblick auf die subtilen Licht-Schatten-Modulationen könnte man auch formulieren, zur Erleuchtung zu bringen.

Eine stille Kommunikation stellt sich ein. Im Stillstand scheint die Zeit zu vibrieren. In einer ereignishaften Erfahrung nehmen wir Zeit war, die Objekte selbst sind von zeitloser Präsenz. Alte und neue Kulturen sind in sie eingeflossen. Allem voran schenken sie Raum, geistigen Raum. Sie begegnen uns zwar als Dinge im Raum, doch in ihrem stillen Da-Sein lenken sie die Gedanken in die Offenheit einer von belebter Leere erfüllten Räumlichkeit. Sie strahlen eine animistische Kraft aus und dienen dem In-Erscheinung-Treten als Erscheinen. Die schlichten Objekte sind Gefässe reiner Potenzialität. Dass sie in intensiver, berührender Handarbeit entstanden sind, bei der Schicht um Schicht ein Tonstrang auf den anderen gefügt wurde, macht sie erst wirklich lebendig für das essenziell Schöne.

Zaunartig befestigte Plachen sind das zentrale bildgebende Sujet einer Gruppe von Schwarzweiss-Fotografien von Agnes von Däniken. Die Umzäunung grenzt ab, und sie grenzt ein. Sie bewegt sich selbst auf einer Grenzlinie. Erneut spielen Gedanken bezüglich eines Schutzraums, doch sind sie inhaltlich verändert konnotiert. Bei meinem Atelierbesuch kamen wir auf eine Radiosendung zu sprechen, in die der Japanologie Heinrich Reinfried eingeladen war. Im weiteren unterhielten wir uns über eine Vorlesungsreihe Heinrich Reinfrieds, in der ein Satz gefallen war, der die Künstlerin intensiv zu beschäftigen begann: Ökologie in Japan – Naturschutz oder Schutz vor der Natur? Die aufgelegte Broschüre wird Sie tiefer in die Materie einführen.

In Japan gibt es einen nationalen Katastrophentag. Seismologische Berichte haben einen zuweilen beinahe schicksalshaft zu nennenden Stellenwert. Der Japaner ist in gewisser Hinsicht ständig daran, Ordnung zu schaffen, um mit der Natur in einem weit umfassenderen Sinn, als wir im Westen es gewohnt sind, umgehen zu können. Die Bonasai-Technik oder die nach strengen Regeln geordneten Gärten sind auch in diesem Kontext zu sehen und zu verstehen. Das Ordnende, visuell spürbar häufig in rasterartig strukturierten Staffelungen, und das geradezu ästhetische Organisieren wurzeln in entscheidendem Mass in den unberechenbaren Naturgewalten.

Von einer Art «windschiefer Ästhetik» redeten wir miteinander, als wir die Schutzhüllen auf den Fotografien betrachteten. Teeplantagen befinden sich hinter der Sichtbarriere. Japan in Verbindung mit Tee lässt einen unweigerlich an die Teezeremonie denken. Und an den streng geordneten Ablauf bei diesem Ritual der Stille. Lenken wir den Blick nochmals zurück auf die Schwarzweiss-Fotografien. Es sind subtile, unauffällige Zeichen, die Agnes von Däniken mit ihren betont unspektakulären und unaufgeregten Arbeiten aussendet. Abläufe werden zu kanalisieren versucht, doch kennen diese Bahnen auch ihre Art von Wölbungen, Ausbuchtungen, gleichsam als Sinnbilder unbeherrschbarer Kräfte. Bereichernd ist es, sich auf die bildnerisch an- und freigelegten Sehbahnen einzulassen.

Agnes von Däniken war nach Japan gereist mit der bewusst visuell ausgerichteten Idee, in Fotografien festzuhalten, wie sich die Menschen dort mit Grün umgeben. Welche Form grün habe, fragte sie sich zuweilen. Bäume, Büsche, Nutzfelder, an Bodenflechten gemahnende flächendeckende Gewebe, Gräser in Rabatten und Trögen, Bonsai-Varianten in Schalen und Kisten, zuweilen arrangiert am Strassenrand, hat sie aufgenommen, grün als poetisch reflektierendes Geflirre fotografiert. Wie ein Solitär steht ein Raumkörper in der Landschaft. Etwas Käfigartiges ist diesem skelettartigen Halterungsgerüst eigen. Zucht verweist doppeldeutig, ja mehrdeutig, in verschiedenste Richtungen. Züchten heisst unter anderem ein Wachstum anregen, Züchtigung zieht das Im-Zaume-Halten, vielleicht gar Unterdrücken, nach sich. Agnes von Däniken fokussiert, auch um die Tunnelvision der Westler auf das als fremd empfundene Land kritisch zu relativieren.

Eine Art Echo löst ein Bilderpaar aus, aufgenommen die beiden Fotografien an ganz unterschiedlichen Orten. Die konkrete Präsenz – das Sujet – unterscheidet sich, doch zeigt sich eine gleichsam erinnerte Verwandtschaft zwischen ähnlich aufgebauten Konstellationen im Zusammenwirken formal abgrenzbarer Elemente. Eine zeichenhafte Bambusprojektion auf einer quadratischen Fläche dient – wie mir Agnes von Däniken vermutend erklärte – der Warnung, beinahe schmückend verpackt hat sie ihren Auftritt. Vielleicht ist es ein Leuchtkörper, der nachts durch das Loch einer Baustellenbretterwand strahlt.

Möglicherweise sind wir in Agnes von Dänikens Fotografien gar nicht unbedingt immer in Japan. Da möchte ich jedoch keine Geheimnisse lüften, Geheimnisse verlocken zum Entdecken – gerade auch als Gegenkraft zu eingefahrenen Sehweisen. Schattenstrukturen entführen in andere Dimensionen. Die Schattenmodulationen in Sonja Duò-Meyers Objekten bringen feinste Sensibilitäten zum Klingen. Ihre Arbeiten schenken der Leere in vielen Aspekten Raum. Hier, jetzt, materialsensibel für Geistig-Natürliches. Im Jahr 2005 wurde sie an den 7. Internationalen Keramikwettbewerb der japanischen Stadt Mino eingeladen. Für ihre Wandinstallation «25 gordische Knoten» wurde sie mit einer «Honorable Mention» ausgezeichnet. Drei Jahre später hatte sie die Ehre, als «Artist in Residence» zwei Monate in Tajimi zu leben, wo sie von einem japanischen Meister viel über Brennverfahren und vor allem über die unterschiedlichsten Porzellansorten lernte. All diese Feinheiten kommen in ihren Arbeiten zum Tragen, die in ihrer leichten Asymmetrie kaum merklich dynamische Impulse aussenden und die zuweilen wie in lichte Watte gebettet scheinen. Präsent und doch gleichsam in hüllenloser Auflösung begriffen, wie sie sind, kann aktivierter Begegnungsraum mit dem nicht Sichtbaren erlebbar gemacht werden.

©Sabine Arlitt, Zürich 2015

 

Einladungskarte